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"Macht, worauf ihr Bock habt!"

Titus Dittmann, 69, gilt als "Vater der deutschen Skateboardszene". Der draufgängerische Lehrer hat aus Skateboarden einen Beruf gemacht. Heute gehören ihm knapp 100 Firmen.

27. August 2018

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Titus Dittmann

Skater der ersten Stunde, Snowboarder, Entrepreneur

Titus Dittmann, 69, hat sehr viel erlebt. Der draufgängerische ehemalige Lehrer gilt als „Vater der deutschen Skateboard-Szene“, hat aus dieser bewegungsorientierten Jugendkultur seinen Beruf gemacht und in diesem Zusammenhang knapp hundert Firmen gegründet.
Wir haben mit ihm über nichts Geringeres als das Leben gesprochen.

Ways2live-Gründer Richard hat Titus Dittmann auf einem Workshop kennengelernt. Richard war beeindruckt von Titus' Ansichten und seinem Antrieb, entgegen jeglicher gesellschaftlicher Konventionen. Nach Titus Vortrag ging es in den Windkanal. Titus war besser als Richard. Mit 69. Genug Gründe, mit Titus über sein Leben zu sprechen.

Titus mit 69 - ein Überflieger

ways2live: Titus, beim letzten Versuch, dieses Interview zu führen, konntest du mich nicht verstehen, weil du gerade ein Flugzeug getestet hattest. Mit 69 Jahren etwas kürzer zu treten, scheint nicht dein Stil zu sein, oder?

Titus: Das stimmt. Ich bin immer noch getrieben ohne Ende und immer unter Strom. Dabei fühle ich mich „schweinewohl“. Unter positivem Stress bin ich ein sehr glücklicher Mensch.

Interessant. Die meisten Menschen fühlen sich eher unwohl, wenn sie “getrieben” werden oder sind.

Die meisten Menschen haben auch das Problem, dass sie fremdbestimmt leben, sich also treiben lassen. Unter “getrieben” verstehe ich meinen eigenen, intrinsischen Antrieb. Ich arbeite auf meine selbst gesteckten Ziele hin und auf keine anderen. Nur dadurch bin ich so belastbar und halte diese Intensität durch. Das ist das Gegenteil von Fremdbestimmung. Ich werde jedem, der mich zu etwas treiben will, dass ich selbst nicht will, den Stinkefinger zeigen und sagen: “Leck mich am Arsch”.

Okay…

Am schlimmsten finde ich: Sehr viele Menschen machen sich keine Gedanken über ihren Antrieb und ihre eigenen Ziele, sie arbeiten nur für jemanden anderen. Das sind dann auch die Menschen, die von “Work-Life-Balance” sprechen.

Work-Life-Balance ist doch sehr wichtig!

Ich halte diesen Begriff für totalen Schwachsinn. Such Dir einen Job, mit dem du das erreichen kannst, was Du selbst möchtest. Wenn Du an etwas arbeitest, dass dir Spaß macht, und wenn du damit auch noch Geld verdienst, dann bist du der glücklichste Mensch auf diesem Planeten. Du musst - frei nach Konfuzius - dann nie wieder arbeiten, denn es ist keine Arbeit mehr.

Deswegen sage ich: Mach deinen Lebensinhalt, dein Life, zur Arbeit und deine Arbeit wird im positiven Sinne zum Leben. Dann brauchst du auch keine “Work-Life-Balance” mehr.

"Mach deine Arbeit zum Leben und dein Leben zur Arbeit, dann brauchst du auch keine Work-Life-Balance mehr."

Das sagt sich natürlich leicht. Ich habe letztens in der Bahn mit einer Schaffnerin gesprochen, die übermüdet war und mir sagte, dass sie ihren Job nicht mag und gerne etwas anderes machen will. Leider fehlen ihr aufgrund ihrer speziellen Ausbildung die Möglichkeiten und die Perspektive.

Perspektiven gibt es immer und überall und für jeden. Sie fallen dir halt nur nicht einfach so zu. Das sieht man doch an eurer Seite “ways2live”: Man kann jedes Projekt jederzeit, an jedem einzelnen Tag, beginnen und durchziehen. Wo ist das Problem?

Hattest du diese Sichtweise schon als Jugendlicher, oder kam sie über die Jahre und die Lebenserfahrung?

Als Jugendlicher war ich natürlich nicht so reflektiert wie heute. Grundsätzlich war ich aber schon immer so drauf, aber aus der Not heraus. Ich konnte in der Schule nicht aufpassen, hab nur rumgespielt, die Lehrer sagten zu den anderen Schülern: ‘Wenn aus euch mal nichts werden soll, müsst ihr nur so werden wie der Titus’. Wenn man so aufwächst, wenn keiner an dich glaubt, man sich auf nichts konzentrieren kann, dann muss man sich seine Perspektiven selbst suchen.

Das ist z.B. auch das, was ich den Kindern mit ADHS bei unserem Projekt „Skaten statt Ritalin!“ mit auf den Weg gebe: Glaubt an euch, lasst euch nicht reinreden, macht euer Ding auf eure Weise.

Aber ich sage ihnen auch: Tragt die Verantwortung für euer Tun! Das verstehen nämlich die meisten falsch. Ich mache zwar, was ich will, und lasse mich dabei kaum beeinflussen - aber ich überlege auch sehr gut, was für Konsequenzen durch dieses Handeln auf mich zukommen. Und dann entscheide ich, ob ich diese Risiken eingehen oder die Konsequenzen tragen möchte.

Du sprichst viel über selbst gesteckte Ziele. Das heißt, du verfolgst das, was Du möchtest, mit aller Vehemenz, egal, was es kostet?

Nö. Eigentlich im Gegenteil. Ich bin da sehr flexibel. Wenn ich etwas erreichen möchte, dann arbeite ich hart darauf hin. Aber wenn ich merke, ich kann etwas nicht erreichen, kann ich auch schnell das Ziel ändern oder streichen. Das ist für mich auch kein Wankelmut, der mir manchmal unterstellt wird. Ich bin nicht Superman. Ich wäre ja bekloppt, wenn ich mich dauernd Wettbewerben stellen würde, die ich nie gewinnen kann. Aber solange ich eine realistische, gute Chance wittere, hab ich die größte Schnauze und investiere alles, was ich kann.

Die zerstörte Viper beim 24h-Rennen

Für viele Eltern ist ADHS eine eher negative Diagnose.

Eben. Deswegen ist meine derzeitige Mission auch, diese Kinder und deren Eltern an die Hand zu nehmen und zu sagen: Schüttelt diesen verdammten Pseudo-Leistungsdruck mal ab, der euch von der Gesellschaft aufgebürdet wurde.

Ich bin generell kein Mensch, der sagt, dass früher alles besser war. Aber: Früher sind wir auf Bäume geklettert, ohne dass Eltern dabei waren. Da überlegt man sich zweimal, ob man auf die 5 Meter hohe, oder die 20 Meter hohe Tanne klettert. Heute stünde da eine besorgte Mami, die dem Kind alles verbietet und ihm am liebsten dauernd einen Sturzhelm aufsetzen will. Und was lernt das Kind dadurch nicht? Entscheidungen treffen, Konsequenzen bedenken, nach eigener Motivation handeln.

Diese Kinder werden gesellschaftlich normierte, halbe Menschen, die aber keinen Biss haben, keine Leidenschaft, keine Schmerzfreiheit. Und das kann man alles nicht in der Schule lernen.

Ich finde diese Arroganz vieler Eltern furchtbar, die glauben, ohne ihre permanente Anwesenheit lerne ihr Kind nichts. Aber ich provoziere natürlich auch gerne.

Bist du damals Lehrer geworden, um genau das zu vermitteln?

Nee, ich habe 1968 Abitur gemacht, damals haben einfach alle irgendwas Soziales mit Erziehung gemacht.

Titus als Lehrer mit Schülern der Skateboard-AG

Was wolltest du denn mal werden, als du ein Kind warst?

Elektriker. Mein Vater war selbständiger Elektromeister, mein Bruder Geselle, und in den 1950er Jahren mussten auch die Kids in den Sommerferien auf den Baustellen ran und helfen. Das war für mich Anerkennung und hat Spaß gemacht.

Du bist also Lehrer geworden, hast dann das Skaten zum Beruf gemacht, hast Firmen gegründet, bist mal fast pleite gegangen. Hattest du immer wieder einen neuen Lebensplan? Oder bist du einfach Opportunist?

Titus (lacht): Ich habe ganz sicher keinen langfristigen fixen Plan. Ich bin einfach sehr begeisterungsfähig. Und für mich ist es das geilste Gefühl, wenn die ganze Welt sagt: Das geht doch gar nicht. Und wenn dann “Klein-Titus”, der früher in der Schule immer ausgelacht wurde, beweisen kann, dass es doch geht. Diese Anerkennung suche ich, und so hat sich quasi mein Leben entwickelt.

Inwiefern?

Ich war beispielsweise der erste in unserer Familie, der Abitur gemacht hat. Einfach nur, weil ich alles daran gesetzt habe, das zu schaffen, was bei uns noch keiner geschafft hatte. Und so ging es immer weiter, von einer Herausforderung zur nächsten, und plötzlich war und bin ich Gründer und Geschäftsführer von 100 Firmen. Step by step. Und ich habe immer wieder andere Wege eingeschlagen. Viele Start-Ups scheitern, weil sie die besten Pläne haben, aber dann plötzlich alles anders kommt. Lieber einen schlechten Plan haben und mit Begeisterung realisieren, als einen großartigen Plan, der nicht umgesetzt wird.

Würdest du sagen, dass Du selbst auch viel Glück hattest bei deinen Unternehmungen?

Da müsste man mal definieren, was Glück ist. Ich habe viele verrückte Sachen gemacht, aber immer wohlüberlegt. Ist das jetzt Glück, dass ich alle Abenteuer überlebt und weder körperlichen noch geistigen Schaden dabei erlitten habe (lacht)? Aber im Ernst: Wer kann denn am Ende sagen, was vorher Glück war, was Zufall? Häufig entpuppt sich vermeintliches Glück später doch als Fehlschlag.

Das Leben ist so komplex, eine Verkettung vieler Ereignisse. Ich glaube, man ist schon einen Schritt weiter, wenn man einfach akzeptiert, dass man als Mensch in seinem Wirken so beschränkt ist, dass man die Zukunft sowieso nicht sicher  planen kann.

Apropos verrückte Sachen: Ich hatte einen Workshop mit dir, wir sind im Windkanal geflogen. Du warst besser als ich. Mit 69...

Daran sieht man, wie ich drauf bin. Wenn ich merke, ich kann in etwas gut sein, dann packt mich sofort der Ehrgeiz.

Wie reagierst du denn auf Fehlschläge, wenn mal ein Fuck-Up passiert und Dinge richtig schief laufen? Manche kann das zerstören, wieder andere schöpfen daraus Kraft. Wie ist das bei dir?

Ach, bei mir ist das wieder anders. Weder noch. Wenn was schief geht, dann ist es halt schiefgelaufen. Lange zu jammern oder zu grübeln bringt ja nichts, man weiß ja meist sowieso, woran es lag. Man muss halt schnell zu einem Schluss kommen, ob es jetzt wegen Kleinigkeiten gescheitert ist, dann sollte man schnell nochmal nachlegen und weitermachen, aber wenn man sieht, dass es “konzeptionell” alles falsch war, dann muss man wohl einfach schnell die Entscheidung treffen abzubrechen, aufzuräumen, Luft zu holen, und etwas anderes anzugehen.

Hast du eigentlich noch Träume?

Wenn ich ehrlich bin, kann ich mit dem Begriff wenig anfangen. Was ist denn ein Traum? Für mich ist das nichts Reales. Ich habe eher Ziele und Wünsche, die sind für mich greifbarer und realistischer. Etwas, an dem ich arbeiten kann. Deswegen kann ich mit der Frage wenig anfangen.
Gut, wenn man so will, dann hab ich nen Traum: Bis der Deckel zugeht, will ich weiterhin so geil drauf bleiben, wie ich bin. Ich möchte mich wohlfühlen, gesund bleiben und hoffe, dass mir die Kohle nicht ausgeht für die Projekte, die ich noch vorhabe.

Nicht falsch verstehen: Mir persönlich ist Geld egal. Aber Geld ist wichtig, um die eigenen Visionen umzusetzen. Es ist das Werkzeug dafür, etwas zu bewegen.

"Ich will weiterhin so geil drauf bleiben, wie ich bin, bis der Deckel zugeht."

Ein Skateboarder im Himmel

Was war dein bester Trick auf dem Skateboard?

Ich war eigentlich ein mieser Skater. Das ist nur die Schublade, in die ich immer gesteckt wurde. Ich habe zum Beispiel Santa Cruz überhaupt zu einer Snowboard-Marke gemacht und weltweit produziert, bin die erste Snowboard-Weltmeisterschaft mitgefahren, hat aber niemanden interessiert.
Aber mein bester Trick war der Titus Flip. Damals gab es ja kein Internet, keine Anleitungen, deswegen hat jeder von uns Tricks erfunden.

Mal ne provokative Frage: Angenommen, du wärst jetzt total unzufrieden mit deiner jetzigen Tätigkeit als Gesellschafter oder mit dem, was du sonst noch tust. Würdest du es dann wirklich  konsequent sofort beenden?

Ich geb Dir ein Beispiel: Ich fahre seit Jahren mit einer Dodge Viper beim 24h-Rennen auf der Nürburgring-Nordschleife, dem schönsten, größten, aber auch gefährlichsten Rennen der Welt mit. Dieses Jahr hatte ich einen schweren Unfall, weil mich ein Porsche um Mitternacht unfair in die Leitplanken gedrückt hat. Ich habe großes Glück gehabt. Da kommt man schon ans Überlegen, ob es das Risiko wert ist und ob man es nicht beenden sollte, obwohl es eine große Leidenschaft ist.

Was ich aber nie aufgeben würde, ist, Kinder mit skate-aid stark zu machen.

Was ist das?

skate-aid ist meine Stiftung, die die pädagogische Kraft des Skateboardens zur selbstbe-stimmten Persönlichkeitsentwicklung bei Kindern und Jugendlichen einsetzt. Kinder macht Skateboarden stark, weil es eben eine sehr selbstbestimmte Sportart ist. Jeder Skater ist rein intrinsisch motiviert, denn kein Erwachsener hat jemals zu einem gesagt: „Geh doch mal skaten, probier doch mal diesen Trick bei dem du dir weh tun kannst.“

Man bestimmt das alles selbst, und da lernt man so viel,z.B. sich Ziele selber zu stecken. Und genau das bewirkt so viel für die eigene Persönlichkeit. Auch dass Erwachsene beim Skaten außen vor sind, ist fantastisch und schafft den Kids endlich mal wieder Freiräume in unseren heutigen Zeiten der Überbehütung und Überförderung.

Der Fahrstil ist egal - auch hier beim Skate-Aid Projekt in Bethlehem

Hilfestellung beim Skate-Aid Projekt in Afghanistan

Und gerade in Entwicklungsländern hat es eine besondere Bedeutung zu skaten und Freiräume vom Mullah oder Dorfältesten zu haben. Denn dadurch können diese Räume eben auch genutzt werden, um ein eigenes Wertesystem aufzubauen.

Deswegen ist skate-aid gerade in Krisen- oder Entwicklungsländern mit dem Bau von Skateparks so aktiv, eben um das zu fördern und zu etablieren und letzten Endes dafür etwas zu tun, dass eine neue Generation starker und selbstbestimmter Individuen heranwächst.

… auch, damit die Kinder dann später rebellieren...

Richtig (lacht).

Von Kindern zu deiner Generation: Was kannst du den anderen (fast) 70-jährigen und allen anderen mit auf den Weg geben?

Bleibt in Bewegung! Und bitte tut das, worauf ihr verdammt nochmal Bock habt!

Text

Richard Meyer

Bild

Stefan Lehmann

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