Mach Dein Ding

Kategorie unterstreichen

Alleine über den Ozean

Janice Jakait hat in 90 Tagen als erste Deutsche den Atlantik in einem Ruderboot überquert.

11. März 2018

Scrollen Sie nach unten

Von Portugal bis Barbados: Janice Jakait ruderte als erste Deutsche über den Atlantik. Allein. Doch das wirkliche Abenteuer begann erst danach.

Janice Jakait

... arbeitete früher in der IT. Nach dem Trip ihres Lebens erfüllte sich Jakait einen Kindheitstraum: Sie wurde Autorin mehrerer Bücher, unter anderem von "Tosende Stille" 

Wenn das eigene Leben überhaupt nicht mehr passt - warum dann nicht alles auf eine Karte setzen? Einen Plan, ein Ziel? Und wenn das nicht funktioniert, ja, dann kann man immer noch verzweifeln. So hatte sich Janice Jakait gefühlt, als sie am 23. November 2011 in Portugal zu ihrer Reise über den Ozean aufbrach. In einem sieben Meter langen und zwei Meter breiten Ruderboot. Ganz alleine. Voller Angst. Aber mit dem festen Glauben, dass sie ankommen würde.

Genau drei Monate später hatte sie ihr Ziel Barbados erreicht. Als sie mit dem Fuß zum ersten Mal seit genau 90 Tagen wieder den Boden berührte, wusste sie zwar nicht, was sie erwarten würde. Sie wusste nur: Sie war eine andere geworden. Wie sich ihr Leben seitdem veränderte, hat sie ways2live erzählt.

ways2live:

Frau Jakait, was war vor dem Rudertrip Ihre Erwartung an die Reise? Was hatten Sie sich davon erhofft?

Janice Jakait:

Ich habe mir gar nichts erhofft. Es war eine Flucht. Ich war vollkommen verzweifelt, nicht angekommen. Dabei hatte ich eigentlich alles, von dem man denkt, dass es einen glücklich macht: Geld, einen Job, eine Beziehung. Aber es hat einfach nicht gepasst. Es hat nicht gereicht, ich war nicht glücklich. Durch Zufall bin ich dann in diese Rudergeschichte rein geraten. Ich habe auf meinen Bauch gehört, der gesagt hat: Mach das!

War der Trip als Cut geplant? Nach dem Motto: Ich lasse mein altes Leben hinter mir, rudere mich frei und starte in etwas Neues?

Von Menschen, die Ähnliches gemacht haben, höre immer wieder, dass sie Veränderung wollten und einen kompletten Lebensplan für die Zeit danach hatten. Ich glaube das nicht. Ich glaube, wenn jemand wirklich aus seinem Leben ausbricht, gehört da eine impulsive Persönlichkeit dazu, und auch eine gesunde Portion Verzweiflung. Ich habe gehofft, dass mir auf der Reise ein Funke ins Hirn schießt. Und dass ich dann wissen würde, wie es weitergeht.

Sie haben sich gedacht: So ganz alleine auf dem Ozean werde ich Antworten finden?

Ich habe es gehofft, viele Fragen mitgenommen. Im Ozean hatte ich dann aber nicht viel Zeit, um nachzudenken. Relativ früh auf der Reise hat sich der Gegenstand über das, worüber ich nachdenken wollte, komplett verändert. Es ging gar nicht mehr ums Außen, es ging nicht mehr darum, was für einen Job ich habe – es war wirklich eine Reise zu mir. Ich habe mich wieder gefunden dort draußen. Dafür musste ich natürlich sehr ehrlich zu mir sein. Denn wenn man sich einsam fühlt oder Probleme hat und sich ständig ablenkt, dann löst man sie nicht. Auf dem Meer habe ich mich meinen Ängsten gestellt, statt davor wegzulaufen oder sie zu verdrängen. Diese Erfahrung hat mich sehr verändert. Denn heute sehe ich das Leben als Geschenk.


Dachten Sie denn, dass der Trip die Probleme lösen würde?

Nein, so ein Trip macht Probleme ja erst mal nur schlimmer. Aber ich wusste, dass sich nichts verändern würde, wenn ich so weitermachen würde wie bisher. Dass sich alles so wunderbar fügen würde, dass ich durch den Trip tatsächlich meine Kindheitsträume verwirklichen würde, Bücher zu schreiben, das konnte ich vorher nicht wissen. Ich hatte damals keine Zukunftspläne. Außer, zu rudern und zu überleben.


Wie kamen Sie denn überhaupt auf diese wahnsinnige Idee?

Ich hatte Ende der 90er von einer Frau gelesen, die versucht hatte, über den Atlantik zu rudern. Sie hat das damals nicht geschafft. Aber diese Story hatte sich bei mir eingebrannt. 2010 war ich dann in San Francisco in einem Marinemuseum. Da stand plötzlich dieses Ruderboot. Und mein Bauch hat was gespürt. Dabei fand ich Rudern immer blöd! Ich hatte keine Ahnung davon, konnte nicht mal gut schwimmen, war davor noch nie auf dem Meer gewesen. Trotzdem sagt mir mein Gefühl: Das soll es sein.

Ich konnte noch nicht mal richtig schwimmen. Doch mein Bauch sagte: Mach das!

Janice Jakait fotografiert den Sonnenuntergang während ihres Rudertrips über den Ozean.

Wie lange haben die Vorbereitungen gedauert?

Eineinhalb Jahre. Die Zeit verging durch die Vorbereitungen sehr schnell. Ich musste ein Boot organisieren, mir rudern selbst beibringen. Ich war wirklich so beschäftigt mit der Planung, dass ich gar keine Zeit hatte, darüber nachzudenken, was die Reise eigentlich für einen Sinn haben sollte. Auf einmal stand ich in Portugal am Steg und es ging los. Und ich dachte nur: Nach mir die Sinnflut.

Das muss doch ein irrsinniger Kampf gewesen sein. Da draußen, ganz alleine im Nichts, im Kampf mit den Wellen. Hatten Sie nicht irrsinnige Angst? Wie kann man sich das vorstellen?

Ich war vorher noch nie auf dem Meer. Und plötzlich war ich ganz allein dort draußen. Die See wuchs gleich in den ersten Stunden sehr schnell, ich hatte bald gleich drei Meter hohe Wellen. Später, während des Trips, waren sie auch mal 8 oder 9 Meter hoch. Dazu Stürme und Gewitter. Ich habe sofort gemerkt, dass das alles mit der Vorstellung, die davon gehabt hatte, nichts zu tun hatte. Die Realität war gnadenlos. Ich bin noch in Landnähe von meiner Route abgekommen und in ein sehr gefährliches Gebiet gelangt, in dem viele Schiffe fuhren. Das hat bei mir zu schweren Angst- und Panikattacken geführt.

Das klingt schrecklich. Wie sind Sie damit umgegangen?

Sehr früh auf der Reise habe ich die wichtigste Lektion gelernt: Angst wird schlimmer, wenn man dagegen ankämpft. Ich war schwer seekrank, habe halluziniert, hatte Panikattacken und das Gefühl, ich sterbe. Schnell hatte ich gar nicht mehr die Kraft, dagegen anzukämpfen. Ich habe dann mein Schicksal abgegeben und mir gesagt: Das Meer entscheidet, ob ich das hier überlebe, oder nicht.

Janice Jakaits Ruderboot im Sturm während ihres Rudertrips über den Ozean.

Ich hatte riesige Angst. Irgendwann dachte ich: Das Meer entscheidet, ob ich das hier überlebe, oder nicht.

Und dann ging die Angst weg?

Wenn man sich mit der Angst abfindet, hört sie auf. Das ist meine Erfahrung. Tatsächlich war die Reise immer anstrengend und ein Kampf, vor allem gegen die Elemente. Aber die Angst hatte ich seit diesem Moment im Griff. Ich hatte plötzlich Vertrauen.


Konnten Sie diese Zuversicht auch mitnehmen in die Zeit danach?

Sagen wir, das alles hat mir die Tür geöffnet. Ich habe dort draußen einige Zustände von Freiheit und Glückseligkeit erlebt, die ich vorher nicht kannte, und die mir komplett neu waren. Ich hätte nicht gedacht, dass man so glücklich sein kann. Die Rückkehr war für mich dann aber ein Schock. Ich hatte das Gefühl, ich hatte mich total verändert, aber zuhause war alles beim Alten geblieben. Die Rechnungen hatten sich gestapelt, und mit den Geschichten, die mir die Menschen erzählten, konnte ich plötzlich nichts mehr anfangen. Die haben mich nicht mehr interessiert. Mir war klar: Ich habe dort draußen etwas ganz Besonderes erfahren. Aber wie ich das in den Alltag kriegen soll, wusste ich nicht.


Haben Sie überlegt, einfach wieder abzuhauen?

Ja. Nach so einem Trip gibt es ein paar Möglichkeiten: Man geht wieder zurück in sein altes Leben, passt sich wieder an, und hat wenigstens eine geile Geschichte zu erzählen. Das wollte ich nicht. Zweite Möglichkeit, und diese hat mich sehr verlockt: Der höher, schneller, weiter Modus. Man hat dort draußen Glück und Freiheit gefunden, und denkt: Ich muss einfach immer weiter reisen, dann hört das nicht auf.

Wofür haben Sie sich entschieden?

Zu bleiben. Ich hatte mich wirklich sehr viel mit mir außeinandergesetzt auf dem Ozean und gemerkt, dass man nur im Hier und Jetzt glücklich sein kann. Daher war Weiterreisen auch keine wirklich Option, das wäre nur wieder eine Flucht gewesen. Ich wollte jetzt gut leben. Also war die Frage: Was kann ich tun, um auch im Alltag glücklicher zu sein? Denn weglaufen ist einfacher, als leben.

Wie haben Sie das Glück dann zuhause gefunden?

Ich habe gelernt, dass ich Glück nur in mir finde. Ich bin überall glücklich, oder nirgendwo. Bis zu dieser Erkenntnis war es nochmal ein langer Weg. Ich habe viel meditiert und mich sehr zurückgezogen. Nach zwei Jahren habe ich gemerkt, wie wichtig mir Freundschaften und Beziehungen sind. Heute lebe ich ein ganz normales Leben mit normalem Alltag. Aber ich muss nicht mehr weglaufen und habe begriffen, dass Herausforderungen und Probleme zum Leben dazugehören. Man kann nicht nur immer oben sein. Die Welle geht rauf, und wieder runter.

Janice Jakaits Reise Route.

Ich dachte, der Trip wäre das schwierigste, was ich je machen würde. Aber der Weg zu mir selbst war viel schwieriger.

Sie haben in Ihrem Buch geschrieben, dass Sie dieses alltägliche Geplänkel nach der Reise so genervt hat. Was ist Ihnen da aufgefallen?

Dass die meisten Menschen gar nicht mit ihrem Gegenüber reden, sondern eigentlich mit sich selbst. Und dass sie gar nicht wirklich zuhören. Sondern einfach darauf warten, dass sie wieder reden können. Einmal hab ich dann etwas gesagt. Ich saß mit einer netten Bekannten im Café. Sie lachte die ganze Zeit, hat Smalltalk gemacht. In diesem Moment hat mich das so gelangweilt und ich dachte: Das ist doch reine Lebenszeitverschwendung. Da hab ich zu ihr gesagt: "Sei mir nicht böse, aber ich würde einfach gerne wissen, wer du bist, und was dich durchs Leben treibt, anstatt dass wir hier diese Belanglosigkeiten austauschen." Da ist sie in Tränen ausgebrochen. Sie sagte, es tue ihr leid, dass sie plänkle, sie merke das und wolle das eigentlich nicht, aber ihr gehe es im Moment nicht gut, und sie wolle nicht, dass ich das merke. Alleine durch die Tatsache, dass wir dann über unsere Gefühle gesprochen haben, hat das Gespräch eine ganz andere Qualität bekommen. Dieser Moment hat mir gezeigt, dass menschliche Kommunikation nicht das war, was ich die letzten 30 Jahre getan hatte. Dass wir alle nicht wirklich zeigen, wer wir sind. Ich wollte einfach nicht mehr mit einer Maske durchs Leben laufen.


Haben Sie davor nicht über Gefühle gesprochen?

Nein. Ich hatte wenige Menschen um mich, mit denen ich wirklich darüber sprechen konnte. Ich wollte das auch nicht. Ich hatte so eine Angst vor meinen Gefühlen, dass ich gar nicht wusste, was das ist. Ich habe Gespräche über Fakten geführt, aber keine emotionalen Gespräche. Meine Gefühlswelt war mir nicht zugängig.


Und dann waren sie auf einmal da?

Das hat sich nicht alles sofort geändert. Dieser Weg zu mir selbst, dass ich den anderen nichts vormachen muss, dass ich einfach so bin, wie ich bin, das hat nach der Reise auch noch lange gedauert. Diese Reise hatte aber die richtige Tür aufgemacht. Davor war ich immer durch die falschen gegangen. Letztendlich war die Zeit danach für mich viel abenteuerlicher als die 90 Tage auf dem Ozean. Ich dachte, der Trip wäre das schwierigste, was ich je machen würde. Aber der Weg zu mir selbst war viel schwieriger. Sich selbst zu begegnen ist das größte Abenteuer im Leben.

Was ist die größte Erkenntnis Ihrer Reise?

Weglaufen ist einfacher, als leben. Ich bin auf dem Ozean weggelaufen. Doch viele Menschen laufen auch zuhause in ihrem Alltag permanent vor etwas weg. Durch viel Arbeit oder Dauerbeschäftigung. Es geht darum, damit aufzuhören. Seinen Frieden mit sich zu machen. Und zu begreifen, dass wir oft nur das Leben der anderen leben - und gar nicht unser eigenes. Dass unsere Ziele gar nicht unsere wirklichen Ziele sind. Sondern das, was unsere Eltern und Freunde toll finden. Ist es wirklich das, was wir selbst wollen? Daher: Immer bei sich selbst anfangen. Den Mut haben, auszubrechen und gegen den Strom zu schwimmen. Und: Ehrlich zu sich sein. Das tut natürlich weh, weil man viel Altes loslassen muss. Da muss man sich dann entscheiden: Passe ich mich weiter an, aber bin nicht wirklich glücklich? Oder möchte ich mein wirkliches Leben finden und kämpfe dafür? Diese Selbstermächtigung zu einem freien Willen ist anstrengend. Man rudert zwar nicht gegen große Wellen, aber gegen einen Strom von Menschen, die immer in eine andere Richtung laufen. Man stellt sich gegen die Rollenbilder einer „normalen“ Gesellschaft. Und doch trifft man Menschen, die das gleiche machen. Man verbindet sich. Und hat dann einen ganz anderen Wert im Leben.

Text

Jennifer Köllen

Bild

Jens Kramer, Janice Jakait, Giga Khurtsilava

Online weiterreisen

Online weiterreisen

https://www.jakait.com/

Teile diesen Artikel

Mitreden

Weitere Geschichten

Job

Früher Model, heute Umweltschützer

York Hovest hat über 15 Jahre als Model und Modefotograf gearbeitet. Eine Begegnung mit dem Dalai Lama veränderte sein Leben. Heute engagiert er sich für den Meeresschutz - teils mit extremen Aktionen.

Reisen

Ist Flucht die Lösung?

Lena hat eine 90-Stunden-Woche, ihr Freund Ulli Burnout. Beide brauchen eine Pause, hauen einfach ab. Doch ihre Probleme nehmen sie mit...

Du hast selbst eine Geschichte zu erzählen oder kennst jemanden, über den wir berichten sollten?